EuGH: Widerruf des Realkreditvertrags im Strukturvertrieb – Wissenszurechnung

2019-05-03T11:39:26+00:0025. Oktober 2005|

Die Anwendung der Haustürgeschäfte-Richtlinie auf den Fall, dass ein Dritter im Namen eines Gewerbetreibenden in den Abschluss eines Vertrags eingeschaltet wird, kann nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Gewerbetreibende Kenntnis von einer Haustürsituation im Sinne der Richtlinie hatte oder hätte haben können. (EuGH, Urt. v. 25. 10. 2005 – C-229/04)

Sachverhalt

Das Vorabentscheidungsersuchen des OLG Bremen (NJW 2004, 2238), erging im Rahmen von drei Rechtsstreitigkeiten der Crailsheimer Volksbank e. G. wegen des Widerrufs der von den Darlehensnehmern zur Finanzierung des Erwerbs von Immobilien bei der Volksbank geschlossenen Kreditverträge nach dem anwendbaren nationalen Recht über Haustürgeschäfte. Das OLG Bremen führte u. a. aus, dass seit dem Urteil Heininger (NJW 2002, 281) in Deutschland eine Kontroverse zwischen dem XI. Senat des BGH und einer Reihe von Instanzgerichten über die Rechtsfolgen dieses Urteils bestehe. Schon die Voraussetzungen des Widerrufsrechts nach § 1 HWiG seien streitig. Nach der Rechtsprechung des BGH komme es für das Widerrufsrecht nicht allein auf das Vorliegen einer Haustürsituation, sondern auf deren Zurechenbarkeit an; das folge aus der amtlichen Begründung zum HWiG, in der zur Auslegung des § 1 HWiG auf die Rechtsgrundsätze zur arglistigen Täuschung in § 123 II BGB verwiesen werde, weshalb Täuschungshandlungen eines Dritten einem Vertragspartner nur zuzurechnen seien, wenn dieser die Handlungen des Dritten gekannt habe oder hätte kennen müssen. Das OLG Bremen ist dagegen der Auffassung, dass die Richtlinie 85/577/EWG keinen Ansatzpunkt für eine derartige Beschränkung des Widerrufsrechts biete, da sie lediglich an die Hautürsituation anknüpfe. Diese Ansicht hat der EuGH im Ergebnis bestätigt.

Begründung

Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 1 und 2 der Richtlinie dahin auszulegen sind, dass die Anwendung der Richtlinie, wenn ein Dritter im Namen oder für Rechnung eines Gewerbetreibenden in die Aushandlung oder den Abschluss eines Vertrags eingeschaltet wird, nicht nur davon abhängig gemacht werden kann, dass der Vertrag in einer Haustürsituation i. S. von Art. 1 der Richtlinie geschlossen wurde, sondern auch davon, dass der Gewerbetreibende wusste oder hätte wissen müssen, dass der Vertrag in einer solchen Situation geschlossen wurde. Hierzu genügt, so der EuGH, die Feststellung, dass der Wortlaut der Richtlinie für eine solche zusätzliche Voraussetzung keine Grundlage bietet. Nach ihrem Art. 1 gilt sie für Verträge, die zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher in einer Haustürsituation geschlossen werden, und nach Art. 2 fallen unter den Begriff „Gewerbetreibender“ i. S. der Richtlinie auch Personen, die im Namen und für Rechnung eines Gewerbetreibenden handeln. Im Übrigen würde eine solche zusätzliche Voraussetzung der Zielsetzung der Richtlinie zuwiderlaufen, die darin besteht, den Verbraucher vor dem mit dem Haustürgeschäft verbundenen Überraschungsmoment zu schützen. Diese Auslegung wird durch das Urteil vom 22. 4. 1999 in der Rs. C-423/97 – Travel Vac bestätigt, wonach das Widerrufsrecht dem Verbraucher schon dann zusteht, wenn der objektive Tatbestand des Art. 1 der Richtlinie erfüllt ist, ohne dass nachgewiesen zu werden braucht, dass er vom Gewerbetreibenden beeinflusst oder manipuliert worden ist. Die zweite, dritte und vierte Vorlagefrage entsprechen im Wesentlichen den Fragen in der Rechtssache Schulte (Rs. C-350/03).